Vortrag, Filmvorfuehrung + Diskussion
Tongji Universitaet, Shanghai
20. November 2008
“shanghai dancer” Dokumentarfilm ueber Jin Xing von Silvia Schopf
Ueber mehrere Wochen begleitete die Filmemacherin Silvia Schopf die Choreografin Jin Xing. Ihr Film “shanghai dancer” zeigt Jin Xing beim Erarbeiten neuer Tanzstuecke mit ihren 14 Taenzern, Ausschnitte aus einem Interview, vier Choreografien, Stadtaufnahmen Shanghais sowie einen Buehnenauftritt im Shanghai Grand Theatre. Diese dokumentarischen Aufnahmen paart Schopf mit bildlichen Symbolen als Ausdruck der Metamorphose Jin Xings vom Mann zur Frau. Der Film setzt im Jetzt an. Er beleuchtet den derzeitigen Zustand der Choreografin und stellt lediglich durch das Medium Tanz den kuenstlerischen Einfluss Jin Xings auf ihre Koerperreise dar. Dabei laesst die Filmemacherin die Kuenstlerin Frau sein; ihr Koerpergedaechtnis zeigt sich in ihren Taenzen durch den Einsatz von Kostuemen, in ihrem Spiel mit Geschlechterrollen und nicht zuletzt durch ihre hervorbrechende maennliche Kraft. Die Elemente sind so ineinander verwoben, dass die Bedeutung des Denkens und Fuehlens Jin Xings für ihre Choreografien sichtbar werden.
http://de.tongji.edu.cn/de/newshow.asp?id=730&lid=4
Die Zeit
“Jin Xing ist für viele das kulturelle Aushängeschild Shanghais, und Shanghai, heißt es, ist das Versuchslabor Chinas. Wenn sich etwas verändert in China, dann zuerst in Shanghai. Die Rolle der Frau etwa: Es gibt viele “neue Frauen” in China, aber Jin Xing ist eine Allegorie auf die Verwandlung; ihre Biografie ist die Biografie einer Unerschütterlichkeit, eine sichtbare Parabel auf Chinas Metamorphose. Früher war das Reich ein geschlossenes System, beherrscht von Politik und Ideologie; heute erscheint China als ein System, das sich, zulasten seiner Traditionsverhaftung, selbst geöffnet hat.” weiter zum Artikel
1990 gründet sie das Jin-Xing-Tanztheater in Shanghai. Es ist das erste unabhängige Ensemble für modernen Tanz und heute ein kulturelles Aushängeschild Chinas. Die Compagnie ist auch international sehr erfolgreich und wird von der Chefin straff geführt.
1967 ist Mao Tse Tung auf dem Gipfel seiner Macht. Im Nordwesten der Volksrepublik, in der Mandschurei, kommt am 13. August ein Junge zur Welt. Sein Vater ein hoher Militär, seine Mutter aus Korea geflohen. Sie nennen ihren Sohn Jin Xing, den goldenen Stern. Schon mit vier steht der Kleine am liebsten auf der Bühne. Mit neun will er unbedingt Tänzer werden, aber dazu muss man Soldat sein. Die Eltern lehnen ab. Da tritt der goldene Stern in den Hungerstreik und nach drei Tagen darf er in eine Tanzkompanie der Volksarmee.
In New York ist der beste Tänzer Chinas ein Niemand. Seine strenge, russische Ballettkunst, seine gedrillte Technik gelten hier nichts. In Amerika ist freier, moderner Tanz gefragt. Jin Xing entdeckt sich völlig neu. Zwei Jahre später wird er bei einem amerikanischen Festival als bester Tänzer ausgezeichnet.
Mitte 20 erfährt Jin Xing von den verschiedenen Möglichkeiten der Geschlechtsumwandlung. Jin Xing: “Ich stecke immer schon im falschen Körper und ich bin kein schwuler Mann”, sagt er damals, “ich bin einfach eine Frau.” Um sich endgültig als Frau neu zu erschaffen, kehrt er nach Hause zurück. Jin Xing: “In meinem ersten Leben brachten mich meine Eltern als Chinesen zur Welt. Ich wollte jetzt nicht meine Identität ändern. Als ich beschloss, neu geboren zu werden, also vom Mann zur Frau zu werden, war ich immer noch chinesisch. Ich gehöre hierher. Die Energie hier tut mir gut.” Die Geschlechtsumwandlung war die erste offiziell genehmigte in der Geschichte des Landes. Und auch durch ihre Arbeit gehört Jin Xing zur Avantgarde Chinas.
Mittendrin im Hochhausdschungel Shanghais behauptet sich eine kleine historische Siedlung. In dieser sündhaft teuren Reihenhausidylle lebt die Diva. Ganz bürgerlich mit Familie. Sie hat drei Kinder adoptiert und dieses Jahr ihren deutschen Lebensgefährten geheiratet. “Früher”, sagt sie, “war ich ein bunter Drachen in den Wolken, und heute bin ich fest verankert. Dass diese drei Kinder zu mir kamen, war ein Traum, eine Fantasie, die wahr wurde. Das Leben klopft an meine Tür und ich habe kein Recht, es zurückzuweisen. Ich habe sie angenommen. Sie machen mich sehr glücklich. Ich lerne viel von ihnen. Sie haben mein Leben total umgekrempelt. Ich hatte mich ja vorher schon selbst verändert, aber sie dann noch mal mein ganzes Leben.”
Jin Xing ist nicht nur die selbstbewusste Vertreterin eines neuen Chinas. Ihr Name ist vielmehr ein Synonym für Courage, Selbstverantwortung und die Macht des freien Geistes. Frank Rother
Jin Xing mit Catherine Texier
Shanghai Tango
Mein Leben als Soldat und Tänzerin
Blanvalet, München
19,95 Euro
Jin Xing bei Blanvalet